Sonntag, 24. Februar 2008

Mein Lieblingsmaerchen


Es gibt viele Märchen auf der ganzen Welt, die man gerne (noch einmal) liest, an die man sich gerne erinnert. Es gibt sogar interessante und verblüffende Ähnlichkeiten, an die man gar nicht denken würde. Wie dem auch sei, ich mag besonders gern die Märchen von Lázár Ervin, diesem herrlichen Erzähler, dessen Werke ich meinen Kindern mit besonderer Freude vorlas.

Recherchiert man im Internet, wird man klüger (oder eben auch nicht) als man zuvor war; in diesem Falle fand ich heraus, dass einige Werke von Lázár Ervin (1936-2006) auch auf Deutsch gelesen werden können („Bersian und Meister Schräubchen”, 1983,. [Kinderbuch, Kindergeschichten, Abenteuer, Spannung]; „Auf Petis Hof sind Löwen.” Kinderbuchverl. 1964; aber auch online: http://forum.psrabel.com/beitraege/lazar/lazar1.html - und das finde ich sensationell! Lob dem Übersetzer! Es ist ein ziemlich schweres – aber zugegeben: schönes – Unterfangen, ein Kinderbuch, ein Märchen - in diesem Falle Novellen von jemandem - in eine andere Sprache, in eine andere Kultur zu übersetzen. Eben eine künstlerische Aufgabe.) Am Rande bemerkt, wird sein Name bei den genannten Büchern ohne ungarische Akzente geschrieben, also „Lazar”, was einen deutschsprachigen Leser ganz irreführen könnte, deshalb kann man sich HIER (Link "Lázár Ervin" einfach abspielen) die richtige Aussprache anhören (Familienname immer vorn, Vorname immer hinten – wie es sich bei uns ziehmt offiziell und auch inoffiziell).

Also mein Lieblingsmärchen: Szörnyeteg Lajos, jaj de álmos (Ludwig das Ungeheuer ist aber sehr müde)
Ludwig, das Ungeheuer (mit dem besten Herzen, d.h. er ist so herzensgut!) war eines Tages auf der Lichtung im Walde sehr, sehr müde, er ging nur so auf und ab, aber er schwankte eher, als dass er ging. Mit einem Wort war er müde. Es kamen seine Freunde, die im Wald lebten, und sie gaben ihm die besten Ratschläge gegen diese Müdigkeit. Der Eine sagte, dass das beste Mittel Purzelbäume wären, der andere schlug ihm heiß-kalte Dusche vor, der Dritte versuchte es mit einer Pflanze, die als Abführmittel verwendet wird, der Vierte mit Fasten, der Fünfte mit Holzhacken, der Sechste mit Kiefernnadeln – mit denen sollte man dem Zuschließen der Augen entgegenwirken. Es half jedoch keine Methode. Es kam nun auf die Lichtung Mikkamakka, eine hübsche, kleine Katzenfigur, und man erzählte ihm, was dem armen Ludwig passierte – und Mikkamakka sagte: „Er soll sich schlafen legen.“

Donnerstag, 31. Januar 2008

Beitrag zum internationalen Märchenprojekt

Märchenprobleme

1.
Als ich ein kleines Kind war, wurden mir Märchen vorgelesen, Märchen wie die von den Brüdern Grimm, Andersen, aber auch ungarische Volks- und Kunstmärchen. Ich lernte dann auch anderes Märchengut kennen: Eines meiner Lieblingsmärchen kommt aus Italien, es ist Carlo Collodis „Pinocchios Abenteuer“. Ich habe es viel später auch meinen Kindern vorgelesen oder erzählt in Buch- und auch DIA-Form (letzteres ging schon aus der Mode, denn es wurde durch Video und DVD ersetzt, d.h. auch, dass die Eltern, statt selber den Kindern zu erzählen, die Technik zu Hilfe rufen). Nun liegt das Buch hier auf meinem Tisch in deutscher Sprache, in einem schönen kleinen Band vom Reclam Verlag (1983, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, aus dem Italienischen übersetzt von Paula Goldschmidt, 16 Illustrationen in Holzstichmanier von Rolf   F. Müller). Auf dem Einband hinten lese ich mit Bewunderung, dass Collodi im 19. Jahrhundert lebte. (Er ist mit diesem Buch für mich ein Klassiker, den ich mir in viel früheren Zeiten vorstellen kann. Eine ähnliche – vielleicht noch größere – Bewunderung überkam mich, als ich von Erich Kästner, meinem anderen Lieblingsautor, erfuhr, dass er größtenteils im 20 Jahrhundert lebte und seine wunderbaren „Kinderbücher“ schrieb. Es war für mich eine enorme Überraschung, als ich irgendwo las, dass er erst 1972 starb – also können er und meine Wenigkeit sogar als Zeitgenossen betrachtet werden. Komisch, komisch!)
Auf dem Einband hinten lese ich, dass das Buch damals 1,50 M kostete. Dieses „M“ stand für Mark der Deutschen Demokratischen Republik – und heute existieren weder besagtes „M“ noch besagtes Land, beide sind in der märchenhaften Versenkung der (unberechenbaren) Geschichte verschwunden…


2
.

In der Zeitschrift JUMA (die es inzwischen auch nicht mehr gibt) erschienen in den 90-er Jahren zwei Märchen, geschrieben von italienischen Schülern.
Ich zitiere sie einfach:



Der unglückliche Wolf

Es war einmal ein freches, ungezogenes Mädchen. Es hieß Rotkäppchen, weil es ein schrecklich rotes Käppchen trug.

Eines Tages sagte die Mutter zu Rotkäppchen: "Geh zu deiner Oma und bring ihr eine Flasche Limonade und eine Schallplatte von Duran Duran. Der Großvater hat sie verlassen, und sie trinkt, um ihr Unglück zu vergessen. Sie hat schon zwei Flaschen Whisky getrunken!" Rotkäppchen antwortete: "Was für eine langweilige Sache!                   Ich muß Dallas sehen!"

Die Mutter sagte wütend: "Dann gehst du nicht in die Disko!"
Rotkäppchen fuhr schnell, sehr schnell mit seinem Mofa. Zum Glück war der Verkehr im Wald nicht stark. Dort war ein guter, netter Wolf. Er pflückte gerade seiner Mutter einen bunten Strauß Blumen, weil sie krank war. Rotkäppchen überfuhr den Wolf; er war tot. In der Nähe war ein böser und schrecklicher Jäger. Er sah alles. Er schnitt den Bauch des Wolfes auf. So ging Rotkäppchen zu der Oma mit einem anderen Geschenk: einer Tasche aus Wolfspelz.
(Ursula Margotti, Sarah Montonori, Marika Marigi)

Rothelmchen

Rothelmchen war ein wunderschönes Mädchen, das sehr gern mit seinem Mofa fuhr und immer ein schönes rotes Helmchen trug. Es wohnte in einem großen Landhaus mit Schwimmbad und Tennisplatz in New York. Rothelmchen war ein unsympathisches Kind, weil es eitel war. Eines Tages sagte die Mutter: "Willst du heute zu deiner Großmutter?" Rothelmchen antwortete: "Ich habe keine Lust!" Dann änderte es seine Meinung, weil die Großmutter ihm immer Geld gab. Das Mädchen nahm seinen Rucksack und fuhr mit seinem Mofa weg. Es fuhr durch die Bronx. Plötzlich blockierte ein verrückter Junge die Straße. Er hieß Wolf und fragte: "Wohin fährst du?"

"Ich fahre zu meiner reichen Oma", antwortete Rothelmchen und fuhr weiter. Der Wolf brauchte Geld und ging zur Oma. Inzwischen war Rothelmchen bei ihr angekommen. Da hörten sie ein Geräusch. Plötzlich kam der Wolf und verschlang sie. Superman hörte das Schreien und flog zur Großmutter. Er zertrümmerte die Fensterscheibe und trat ins Zimmer.   Superman warf den Wolf aus dem Fenster. Der Wolf starb. Superman verliebte sich in die Großmutter, und sie heirateten.

(S. Ghiradelli, A. Gambi, I. Taddei, V. Suprani)
Das sind Varianten des bekannten Originals „Rotkäppchen“, das heutzutage nebst anderen alten Texten im Internet zu lesen ist: http://gutenberg.spiegel.de/buch/-6248/140

Nun halte ich es für doppelt spannend, sich endlich einmal mit dem Text von den Brüdern Grimm bekannt zu machen und auch die schon als „halbhistorisch“ geltende Variante italienischer Schüler vor fast zwei Jahrzehnten kennen zu lernen. (Ich frage mich, wie heute die sich ändernden Elemente aussehen würden, welche Musikgruppe würde z.B. statt Duran Duran da vorkommen und welche Fernsehserie statt Dallas, usw.? Man sieht übrigens gleich, dass es verhältnismäßig alte Schülerarbeiten sind, denn die Rechtschreibung hat sich auch ein wenig geändert. Man könnte die Texte inhaltlich und formal leicht aktualisieren.)

3.
Manchmal scheinen mir alte Märchen wirklich auch veraltet zu sein, man versteht sie nicht, oder man versteht sie allzu gut. Was ist mit den heutigen Märchen – das ist die Frage. Was ist modern und was nicht?
Ich kann mich noch sehr gut an eines der von mir gelesenen Märchen erinnern, und das stammt von Georg Büchner, einem sehr talentierten deutschen Schriftsteller, der leider Gottes allzu früh starb. In seinem Theaterstück „Woyzeck“ erzählt die „Grossmutter“ folgendes:
Kommt, ihr kleinen Krabben! - Es war einmal ein arm Kind und hatt' kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war's ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu den Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein.”
(in: http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=263&kapitel=8&cHash=9c7b9acbea2)

Ein Märchen aus der Zeit von Goethe oder den Brüdern Grimm und dennoch äußerst modern – oder?

4.

Volksmärchen haben wir Ungarn natürlich auch jede Menge. Und nicht nur das, sondern sie werden / sind in verschiedene Sprachen übersetzt, u.a. auch ins Deutsch. Hier kann man einige lesen:
http://www.sagen.at/texte/maerchen/maerchen_ungarn/ungarn_volksmaerchen/volksmaerchen_ungarn.htm


Fabelhaft – nicht wahr?!